Keller wendet sich in seiner Performance Retro Liberalismus den Ursprüngen des Liberalismus zu. Er untersucht den liberalen Gedanken indem er auf den Gründungsvater Adam Smith und seine beiden Werke Der Wohlstand der Nationen und die Theorie der ethischen Gefühle zurückgreift. Der Titel Retro Liberalismus ist als Umkehrung zum Neoliberalismus zu verstehen und soll es möglich machen, die Idee von Smith aus einer Perspektive von heute neu zur Diskussion zu stellen. Ein Blick zurück tut dringend Not, da viele von Smiths ursprünglichen Gedanken im Laufe der Zeit untergingen bzw. pervertiert wurden. Eine neue holistische Lesart von Smiths Werk ist daher angebracht.

Der Liberalismus von Smith hat tiefe anthropologische Wurzeln. Smith begreift den Menschen als soziales, zur Empathie fähiges Wesen, das der Gemeinschaft bedarf, sich als Teil dieser versteht und folglich auch ihr gegenüber verpflichtet ist. Treu und Glauben, Fairness und Respekt sind normative Anker des Liberalismus. Im „Wohlstand für alle“ sieht Smith das Ziel, und der Wettbewerb ist das Mittel, um diesem Ziel gemeinsam 

näherzukommen. Der von Smith geprägte Liberalismus ist somit wesentlich komplexer als die zeitgenössische neoliberale Ausformung, die einzig auf monetären Gewinn aus ist und sich nicht um die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt kümmert.

Keller weilte 2015 längere Zeit in Japan, einem hochentwickelten Land, das durch eine nun bereits 25 Jahre andauernde wirtschaftliche Stagnation geprägt ist. Tokio ist die grösste Metropolenregion der Welt und daher ein ideales Biotop, um von Smith beschriebene Mechanismen wie die Schwarmintelligenz oder die unsichtbare Hand, welche die Märkte immer wieder ins Lot bringen soll, zu untersuchen. Keller hat sich mit diesen Fragen in Japan umgesehen und eine japanisch geprägte Lesart von Smiths Liberalismus entwickelt, die vertraut und fremd zugleich ist. Beobachtungen aus dem alltäglichen Leben in Tokio fliessen in die Performance genauso ein, wie Elemente aus dem Kabuki Theater. 

Retro Liberalismus ist eine Performance, die Keller während der Ausstellung Action! mit zwei Schauspielern entwickeln und am Schluss zur Aufführung bringen wird. Es ist ein Kunstwerk, das sich täglich ändert und sich den Besuchern in ganz verschiedenen Facetten zeigt: von der Entwicklungsphase zu den Proben bis hin zu den Vorstellungen am Ende der Ausstellung.